Wenn an einem Sonntagmorgen, morgens um 8 Uhr, auf dem großen Parkplatz der Hephata-Gärtnerei Menschen vor einer Bühne stehen, kann das nur eins bedeuten: Es sind Hephata-Festtage. Diese zogen am vergangenen Wochenende wieder mehr als 10.000 Besucher auf das Stammgelände der diakonischen Einrichtung in Schwalmstadt-Treysa.

„Ich bin gestern Nacht angereist, das sind ungefähr 200 Kilometer von mir zu Hause“, sagte Lydia Hauske (22) aus Gau-Odernheim. Während sie schon mit Vicky Lindner (24) aus Oberaula am Bühnenrad stand, liefen auf der Bühne die Vorbereitungen für den Kreativ-Gottesdienst. Die beiden Frauen feierten diesen mit und rührten sich danach nicht mehr vom Fleck, schließlich galt es, den Platz zu behaupten: Für 17 Uhr hatte sich die Schlager-Boy-Group „Feuerherz“ angekündigt und mit ihr Fans aus ganz Deutschland. „Ich bin seit 2014 Fan, war auf mehr als 100 Konzerten. Ich habe heute für Sebastian ein Lebkuchenherz dabei, das gebe ich ihm in der Autogrammstunde“, sagte Vicky Lindner. 

Die fand im Anschluss an das einstündige Konzert statt. Bei dem hatten die vier Feuerherzen alles gegeben. Im Konfettiregen und Blitzlichtgewitter der Handykameras gaben sie Hits wie „In meinen Träumen ist die Hölle los“, „Tu’s noch mal“ und „Wer kann denn da schon nein sagen?“ zum Besten. Dabei  begeisterten Sebastian, Karsten, Dominique und Matt ihr zumeist weibliches Publikum mit ausgefeilten Tanz-Choreographien. Neben Lydia Hauske, Vicky Lindner und ihrer Mutter Martina Lindner sowie Regina Lutzke aus Wohratal-Langendorf, die sich für das Konzert verabredet hatten, ließen sich das rund 2.000 Menschen nicht entgehen.

Im Hephata-Kirchsaal ging es passend zum 25-jährigen Bestehen der Integrativen Kindertagesstätte Hephata um die Teilhabe von Kindern. Journalist Thomas Korte moderierte dazu ein Podiumsgespräch mit Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, Hephata-Vorstand Klaus Dieter Horchem, der Leiterin der Hephata-Kita, Anne Bertelt, einer Erzieherin der Kita, Jutta Linzner, der Elternbeirätin Lisa Naujoks und Julius Ehl, ehemaliges Hephata-Kita-Kind.

Zunächst berichtete Julius (7) von der Idee, für die Hephata-Kita Lego anzuschaffen und dem daraus entstandenen Lego-Zimmer. Dafür haben die Kinder selbst Regeln aufgestellt: „Erst wollten wir Lego, dass jede Gruppe das Lego für eine Woche bekommt. Aber in den Gruppen sind ja auch Kleine. Die können die Teile in den Mund nehmen, das wäre blöd“, so Julius. Also entstand mit den Kindern zusammen die Idee, ein eigenes Lego-Zimmer anzulegen, in das aus jeder Gruppe zwei Kinder dürfen. Jutta Linzner skizzierte den Weg dahin: „Es gab eine Kinderkonferenz, in der wir Fragen geklärt haben wie: Wer darf spielen? Wo kommt das Lego hin?“ Anne Bertelt ergänzte: „Wir haben Kataloge gewälzt, was wir brauchen. Wir versuchen, auf die Kindern zu hören, natürlich in Grenzen.“ Gerade dieses Konzept gefällt auch Lisa Naujoks: „In der Hephata-Kita gibt es eine große Vielfalt an Kindern, entspannte und zugewandte Mitarbeiter. Und man merkt auch zu Hause, dass die Kinder lernen, zu diskutieren, ihre Meinung zu vertreten und Kompromisse auszuhandeln.“ Das griff auch Ulrich Lilie auf: „Wir stehen dafür, dass jedes Kind einzigartig und ein Ebenbild des lebendigen Gottes ist. Wir stehen für Haltung und Werte, für Offenheit und Bereitschaft für Kinder. Demokratie fängt ganz früh an.“

„Wir stehen hinter der Kita, auch wenn sie Geld kostet“, sagte Klaus Dieter Horchem. Die Kita sei ein bewusstes Zuschussgeschäft - 20 Prozent der Kosten trage Hephata, 80 Prozent die Stadt – und ein Teil der diakonischen Aufgabe. Zudem sei die Kita als Betriebs-Kita auch ein großes Pfund als Arbeitgeber. „Wir sind sogar offen für eine Erweiterung.“ Anne Bertelt wünschte sich diese Möglichkeiten für alle Kitas: „In der Gesellschaft stören Kinder oft, die Eltern sind als Arbeitskräfte gefragt. Wo mit den Kindern hin? Es sollten alle Kitas gut ausgestattet sein, damit Eltern ihre Kinder dort mit einem guten Gewissen abgeben können. Ein paar Fachstunden mehr hier, ein neues Gesetz da, das reicht nicht aus.“

Ein gesellschaftspolitischer Aspekt, den Ulrich Lilie in seinem anschließenden Kurzvortrag aufgriff. Eine seiner Lieblingsfragen sei: Was willst Du, dass ich Dir tun soll? Und die damit verbundene weitere Frage, welches Land wollen wir in Deutschland in zehn, 15 Jahren sein? „In dieser Gesellschaft haben wir verlernt, solche Fragen zu stellen. In erster Linie wissen wir, was für uns selber gut ist. Aber, je unterschiedlicher wir werden, desto wichtiger ist es, dass wir den fremden Blick wagen. Lass Dir öfter sagen, was Du nicht hören willst. Überlegen Sie sich eine Person, auf die Sie – wie meine Kinder sagen – keinen Bock haben. Und dann hören Sie ihr zu.“

Zuhören – und erzählen, und feiern – das fand an vielen Ecken der Hephata-Festtage statt. Ins Gespräch kamen Menschen mit und ohne Behinderungen, an einem der 100 Marktstände oder vor den insgesamt drei Bühnen. Manchmal bei einer Bio-Bratwurst der Sozialen Rehabilitation, manchmal beim Kistenklettern oder am Schweißsimulator der Berufshilfe, beim Specksteinpfeilen der Förderschule und Stockbrotgrillen der Jugendhilfe, an der Bar Inklusive der Behindertenhilfe, beim Quiz der Akademie oder auch beim Gesundheitscheck der Hephata-Klinik. Und natürlich bei den beiden Großkonzerten am Samstagabend und am Sonntagnachmittag.

Am Samstagabend kamen rund 300 Gäste zum Open-Air „Tribute To Colours“. Den Auftakt machte die inklusive Hephata-Band aus Mitarbeitern und Klienten, „Jukas On Tour“, die aus 30 Jahren Bandgeschichte spielten und sangen. Unter anderem gab es Coversongs wie „Knocking on heaven’s door“, „Ich geh‘ mit Dir wohin Du willst“ und „Weil ich Dich Liebe“ zu hören. Gegen 20:30 Uhr kam dann die Tribute-Band „The Red Hot“ auf die Bühne. Zu Hits wie „Can’t stop“, „Californication“ und „Under the bridge“ knallten die ersten Konfetti-Kanonen und tanzenden Grüppchen unter der Zuschauern. Die wurden bei „It’s all Pink“ noch mal deutlich mehr. Sängerin Vanessa Henning gab auf der Bühne alles, die Fans im Publikum taten es ihr gleich – trotz kühler Temperaturen ging die Musiknacht bis in den Sonntagmorgen.

Ein paar Stunden später standen um 8 Uhr morgens die nächsten Konzertbesucher vor der Bühne. Vicky Lindner: „Meine Eltern kommen nachher und versorgen uns.“